Altes Testament

Ernst Axel Knauf: 1 Könige 15–22

Ernst Axel Knauf: 1 Könige 15–22, Herders Theologischer Kommentar Altes Testament, Freiburg: Herder, 2019, € 105,–, 536 S., ISBN 978-3-451-26815-1


Knauf legt drei Jahre nach seinem Band zu 1. Könige 1–14 (2016) den Folgeband zu 1. Könige 15–22 vor. Der Autor ist in den vergangenen Jahrzehnten mit einschlägigen Veröffentlichungen zu historischen und archäologischen Fragen wie z. B. zu Ismael (1985) und Midian (1988): Untersuchungen zur Geschichte Palästinas und Nordarabiens im 1. bzw. 2. Jahrtausend, A History of Biblical Israel: The Fate of the Tribes and Kingdoms from Merenptah to Bar Kochba (zusammen mit Philipp Guillaume; 2016) oder Geschichtes Israels und Judas im Altertum (2021) und mit Kommentaren zu dem Josua- (ZBK, 2008) und dem Richterbuch (ZBK, 2016) hervorgetreten. Knaufs Interesse, seine Kompetenz und seine Anliegen werden dabei vielfältig sichtbar. So verwundert es auch nicht, dass seine Ausführungen in dem vorliegenden Kommentar durch ein besonderes Interesse für historische Fragen und archäologische Informationen gekennzeichnet sind.

In seinem Vorwort nimmt er Leser direkt in die Herausforderung hinein, wie das Ende des ersten Königebuches zu bestimmen ist. Die Geschichte Ahasjas beginnt mit 1Kön 22,52 aber die Schlussformel findet sich erst in 2Kön 1,18. Manche Codices machen keinen Absatz und der Aleppo-Codex bindet die Joschafat- und die Ahasja-Geschichte zusammen und unterscheidet sie gemeinsam von ihrem Zusammenhang. Deswegen behandelt Knauff 1Kön 22,41 bis 2Kön 1,18 als eine kompositionelle Einheit, bietet in dem vorliegenden Band nur die Übersetzung und die damit verbundenen Anmerkungen zu 1Kön 22,41ff, vertröstet die Leser auf den Folgeband und setzt seine Ausführungen folgendermaßen fort: „Die Unbequemlichkeit, die daraus für die Leserschaft resultiert, mag als Stein eines Denkanstoßes dienen. ,Die Bibel‘, von der Theologen wie Laien, Christen wie Nichtchristen oft und eher gedankenlos sprechen, gibt es eigentlich nicht. Es gibt viele Bibeln, im Umfang wie Aufbau verschieden“ (9). Dieser Einstieg führt unmittelbar in Fragen der Lektüre von 1Kön 15–22 ein und wirft nicht nur ein Licht auf diese Kapitel und ihre Verknüpfung mit den Kapiteln davor und danach. Eine Beschäftigung mit den Königebüchern als Ganzes legt auch die Frage nach dem Anfang und Ende auf den Tisch. Die Verbindung mit der Davidserzählung (1Kön 1–2) aus den Samuelbüchern wurde in der Forschung vielfach diskutiert (vielfach unter der Überschrift der Thronfolgeerzählung; 2Sam 20–2Kön 2) und stellt eine eigentümliche Bucheröffnung dar. Das Ende der Königebücher fordert aber nicht weniger heraus. Es liegt ein Schluss vor, der sich geradezu verweigert, etwas abzuschließen. Es ist ein Schluss, der eine Fortsetzung erwartet und mindestens ebenso viel zu einem vorläufigen Ende bringt, wie es den Boden für weitere Erzählungen bereitet. Noch bevor man also den eigentlichen Kommentarteil dieses Bandes erreicht, befindet man sich in einem Gespräch mit dem Kommentator, schaut sich biblische Texte noch einmal genauer an, wird ins weitere Nachdenken geführt und ist herausgefordert, sich mit treffenden Beobachtungen und gut nachvollziehbaren Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen.

Außerdem vermerkt Knauf in seinem Vorwort: „Der Band ist – immer wieder mit mehr oder weniger großen Unterbrechungen – im Laufe von zwölf Jahren entstanden. Diese Zeit wie die Komplexität der Materie, die ich nicht zu reduzieren versuche, sondern eher herauszustellen, haben im Text ihre Spuren hinterlassen. Da kein Kommentator damit rechnet, dass der Kommentar im Zusammenhang gelesen wird, sind diese Wiederholungen und Überschneidungen intendiert; die Benutzer sollen die unter der Textoberfläche lagernden Informationen auch dann zur Hand haben, wenn sie den Kommentar für eine Perikope benutzen.“ (10). Die Entstehungsgeschichte des Kommentars hinterlässt sicherlich an manchen Stellen ihre Spuren, was aber nicht zum Nachteil bei der Lektüre führen muss. Besonders wertvoll ist das Anliegen, die vorliegende Komplexität nicht reduzieren, sondern darstellen zu wollen. So wirft Knauf immer wieder wichtige und spannende Fragen auf. Fragen, die weiterführendes Nachdenken anregen. Dabei muss man den Antworten Knaufs nicht folgen, um sowohl die Fragen als auch die Antworten als guten Ausgangspunkt für ein Gespräch mit dem biblischen Text und mit dem Kommentar zu erfahren. Knauf wirkt streckenweise unbequem, weil er Vertrautes hinterfragt, gute Beobachtungen und treffende Beschreibungen mit bisweilen provozierenden Schlussfolgerungen kombiniert.

Viele tabellarische Übersichten stellen spannende Informationen zusammen wie Verteilung von Namensformen, sprachliche Formeln, einzelnen Lexemen und Begriffen oder syntaktischen Konstruktionen in den Anmerkungen zu Text und Übersetzungen. Im Analyseteil finden sich Tabellen, die Textgliederungen und -aufbau, textgeschichtliche Schichtungen, inhaltliche Aspekte (wie Ahabs „Sündenkatalog“), weitere Verteilungen von Lexemen, Begriffen, Namen und sprachliche Formeln und intertextuelle Bezüge veranschaulichen. Diese Zusammenstellungen sind eine Fundgrube für bemerkenswerte Beobachtungen, laden zu weiteren Untersuchungen und Überlegungen ein und sind häufig nicht zuletzt wegen ihrer Übersichtlichkeit sehr hilfreich. Außerdem findet man ausführliche Zusammenstellungen von textgeschichtlichen und textkritischen Beobachtungen. Textkritische Varianten werden in der Übersetzung sichtbar gemacht, so dass man sofort die Unterschiede zwischen einer Ketib- und Qere- oder einer LXX und M-Lesart erfassen kann. Die grafische Darstellung der Übersetzung der Varianten wirkt im ersten Moment ungewohnt und störend, ist aber auf den zweiten Blick gut gelöst und erweist sich als sehr hilfreich und wertvoll.

Die Darstellung der Rezeptionsgeschichte reicht von der Hebräischen Bibel, über jüdische Literatur der zwischentestamentarischen und neutestamentlichen Zeit, das Neue Testament, rabbinisches Judentum, jüdische, christliche und islamische Traditionen bis in die Moderne und blickt auch auf die Rezeption in der postchristlichen Welt. Knaufs Beschäftigung mit dem biblischen Text entfaltet sich auch in und mit historischer und theologischer Kritik, bezieht jüdische Ausleger wie Ibn Ezra, Rambam (Maimonides) oder Abrabanel ein und lässt auch moderne Stimmen in einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit zu Wort kommen. Es entwickelt sich daraus in der Regel ein Gespräch, dem man an sich gut folgen kann, das viele wertvolle Gedanken sammelt und zu einer weiteren Beschäftigung mit dem biblischen Text und anderen Auslegungen und Perspektiven einlädt.

Knauf nimmt auch literarische / narrative Studien in sein Gespräch mit dem Text hinein, auch wenn diese nicht so viel Raum bekommen, wie archäologische, text- und literaturgeschichtliche Beobachtungen und Fragestellungen. Die Literaturangaben machen das auch sichtbar (11–15), insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass viele der unter der Überschrift „Weitere Literatur“ zusammengefassten Titel, keine literarischen Studien zu den Königebüchern im engeren Sinne sind, sondern vor allem soziologische, kompositionsgeschichtliche / redaktionsgeschichtliche und theologische Aspekte thematisieren. Für einen literarischen / narrativen Zugang muss man sicherlich andere Kommentare in die Hand nehmen. Das ändert aber nichts daran, dass Knauf ein interessanter, anregender, provokanter und wertvoller Gesprächspartner für die Lektüre der Königebücher ist.


Heiko Wenzel, Ph.D. (Wheaton), Akademie für Kirche und Gesellschaft, Wien